Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen bei Einberufungsmängeln (OLG Stuttgart, Urteil vom 23.07.1993, Az.: 2 U 79/93)
Amtliche Leitsätze:
- Mangels abweichender Satzungsbestimmung können auch bei nicht ordnungsgemäßer Berufung der Gesellschafterversammlung Beschlüsse gefaßt werden, wenn alle Gesellschafter anwesend oder vertreten sind und keiner der Beschlußfassung widerspricht. Ist das Erlöschen eines Erwerbsrechts nach ordnungsgemäßer Anzeige nach der Satzung nur Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung zur Abtretung eines Gesellschaftsanteils an einen Nichtgesellschafter, so führt die Erteilung der Genehmigung ohne das vorherige Erlöschen des Erwerbsrechts allenfalls zur Anfechtbarkeit der Genehmigung.
- Ein Gesellschafter kann sich von einem Bevollmächtigten in der Gesellschafterversammlung vertreten lassen. Er hat aber keinen Anspruch darauf, dann auch selbst an der Versammlung teilzunehmen.
- Ein Berater hat neben dem Gesellschafter nur dann ein Teilnahmerecht an der Gesellschafterversammlung, wenn diese das durch Mehrheitsbeschluß gestattet.
Aus dem Tatbestand:
Der Ast. zu 1 war alleiniger Gesellschafter der L-GmbH. Dieser und der Ast. zu 2 waren alleinige Geschäftsführer. Durch notariellen Vertrag vom 21. 8. 1992 verkaufte und übertrug der Ast. zu 1 an den Ast. zu 2 einen Geschäftsanteil von 20000 DM ( = 20 %) und einen Geschäftsanteil von 60000 DM (=60 %) an Friedrich S (im folgenden F). Dieser übertrug seinen Anteil durch notariellen Vertrag vom 26. 11. 1992 auf den Ag. Dieser Übertragung haben alle Gesellschafter mit Beschluß vom 25. 11. 1992 zugestimmt. In diesem Beschluß wurde der Ag. auch zum alleinvertretungsberechtigten Gesellschafter bestimmt. In einem Darlehensvertrag vom 21. 8. 1992 haben die Ast. ihre Geschäftsanteile Hermann S (im folgenden H), dem Sohn des F, verpfändet und ihm Vollmacht für die Ausübung ihrer Stimmrechte erteilt. Die Übertragung der Geschäftsanteile auf den Ast. zu 2 und auf F sollte die Vorstufe zum Erwerb des gesamten Unternehmens durch H sein. Über die Bedingungen dieses Erwerbs konnte in der Folge keine Einigung erzielt werden. Es kam deshalb zwischen den Bet. zum Streit. Der Ag. erteilte den Ast. für die Geschäftsräume der GmbH Hausverbot. Am 21. 8. 1992 und am 10. 2. 1993 faßte der Ag. zusammen mit H, der dabei aufgrund der Stimmrechtsvollmacht der Ast. handelte, Gesellschafterbeschlüsse. Am 21. 8. 1992 wurde die Satzung dahin geändert, daß der Ag. zum alleinvertretungsberechtigten Gesellschafter bestellt wurde. Am 10. 2. 1993 wurden die Ast. als Gesellschafter ausgeschlossen. Durch Gesellschafterbeschluß vom 19. 2. 1933 haben die Ast. den Ag. als Geschäftsführer abberufen. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dieser drei Gesellschafterbeschlüsse und der Übertragung des Geschäftsanteils von F auf den Ag. In dem von ihnen am 24. 2. 1993 anhängig gemachten Verfügungsverfahren haben die Ast. beantragt, den Ag. zu verurteilen, (1) den Ast. den Hauptschlüssel zum Betriebsgebäude auszuhändigen, (2) das Betreten des Betriebsgebäudes zu unterlassen, (3) es zu unterlassen, die Ast. am Betreten des Betriebsgebäudes zu hindern, (4) es zu unterlassen, als “Geschäftsführer”, (5) hilfsweise, als “Alleingeschäftsführer” der L-GmbH aufzutreten.
Das LG Stuttgart hat den Ag. verurteilt, die Schlüssel zum Betriebsgebäude herauszugeben und es zu unterlassen, die Ast. am betreten des Betriebsgebäudes zu hindern, sowie es zu unterlassen, als alleiniger Geschäftsführer der L-GmbH aufzutreten. Im übrigen wurden die Verfügungsanträge zurückgewiesen. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, daß die Gesellschafterbeschlüsse vom 21. 8. 1992 und vom 10. 2. 1993 deshalb nichtig seien, weil die Beschlüsse von der Vollmacht des H nicht gedeckt und die Ast. nicht zur Gesellschafterversammlung eingeladen worden seien. Der Ag. hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Den Antrag auf Schlüsselherausgabe haben die Ast. noch vor der mündlichen Verhandlung über die Berufung zurückgenommen. Bezüglich des gegen den Ag. erlassenen Verbots, als alleiniger Geschäftsführer aufzutreten, haben die Parteien den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt, weil am 10. 3. 1993 ein weiterer Geschäftsführer bestellt worden war. Die Berufung des Ag. hatte im übrigen keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
Der jetzt nur noch im Streit stehende Verfügungsanspruch, es zu unterlassen, die Ast. am Betreten des Betriebsgebäudes der GmbH zu hindern, ist nicht begründet. Dieser Anspruch ist zwar nicht mit dem Anspruch auf Aushändigung der Schlüssel zu dem Betriebsgebäude erledigt. Denn das Hindern am Betreten des Gebäudes kann auch auf andere Weise als durch Vorenthaltung der Schlüssel geschehen und es bestand auch die Gefahr, daß es auf andere Weise geschehen würde. Der Verfügungsanspruch muß aber jdenfalls zur Zeit daran scheitern, daß von der Wirksamkeit der Gesellschafterbeschlüsse vom 10. 3. 1993 auszugehen ist, durch die die Ast. als Gesellschafter der GmbH ausgeschlossen und als Geschäftsführer abberufen wurden. Diese Gesellschafterbeschlüsse sind nicht nichtig, sondern allenfalls anfechtbar und deshalb bis zur Nichtigerklärung durch rechtskräftiges richterliches Gestaltungsurteil auf Anfechtungsklage hin voll gültig (Roth, GmbHG, 2. Aufl., § 47 Anm. 6.5.). Der geltend gemachte Verfügungsanspruch könnte den Ast. aber nur zustehen, wenn sie Gesellschafter oder Geschäftsführer der GmbH wären. Als Gesellschafter könnten sie den Anspruch möglicherweise mit der Gesellschafterklage (actio pro socio) geltend machen (vgl. zu den im einzelnen umstrittenen Voraussetzungen dieser Klage Hachenburg/Hüffner, GmbHG, 8. Aufl., § 46 Rdnrn. 109 ff.; Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, S. 192 ff.). Als Geschäftsführer könnten die Ast. gegen den Ag. Besitz-
schutzansprüche geltend machen, wenn man mit einer Mindermeinung annimmt, daß der Geschäftsführer Besitzmittler für die GmbH ist (vgl. dazu Wieling, SachenR I, S. 141 f.).
Die Gründe, mit denen die Ast. die Nichtigkeit der Gesellschafterbeschlüsse vom 10. 3. 1993 geltend machen, greifen nicht durch. Die Übertragung des Geschäftsanteils von F auf den Ag. ist nicht unwirksam, sondern allenfalls anfechtbar. § 4 der Satzung der L-GmbH regelt die Verfügung über Geschäftsanteile wie folgt:
1. Ein Gesellschafter kann ohne Genehmigung der Gesellschaft Geschäftsanteile an Mitgesellschafter abtreten.
2. Im übrigen sind Verfügungen über Geschäftsanteile nur mit Genehmigung der Gesellschaft wirksam. Sie darf nur aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses erteilt oder verweigert werden. Besteht nach § 5 ein Erwerbsrecht, darf die Genehmigung zur Abtretung erst erteilt werden, wenn dieses Erwerbsrecht nach ordnungsmäßiger Anzeige erloschen ist.
Die danach erforderliche Genehmigung der Gesellschaft haben alle Gesellschafter durch den Beschluß vom 26. 11. 1992 erteilt. Durch diese Genehmigung aller Gesellschafter – und nicht nur einer Mehrheit – könnte auch das Erwerbsrecht der einzelnen Gesellschafter und der Gesellschaft nach § 5 der Satzung erloschen sein, auch wenn F die Absicht, seinen Geschäftsanteil an den Ag. zu veräußern, nicht durch eingeschriebenen Brief vorab angezeigt und die Gesellschaft die Gesellschafter nicht in der in § 5 der Satzung vorgeschriebenen Weise zur Erklärung über ihr Erwerbsrecht aufgefordert hat. Doch kann dies auf sich beruhen. Denn das Erlöschen des Erwerbsrechts nach ordnungsgemäßer Anzeige ist in der Satzung nicht als Voraussetzung für die Wirksamkeit der Abtretung, sondern nur als Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung der Abtretung vereinbart worden. Die Erteilung der Genehmigung ohne das vorherige Erlöschen des Erwerbsrechts führt daher allenfalls zur Anfechtbarkeit der erteilten Genehmigung (Hachenburg/Zutt, GmbHG, 8. Aufl., § 15 Rdnr. 127; RG, JW 1934, 1412 (1413)). Für diese Auslegung der Satzung spricht schon ihr Wortlaut, nach dem nur die Genehmigung der Gesellschaft Voraussetzung der Wirksamkeit der Verfügung über Geschäftsanteile ist. Das Erlöschen des Erwerbsrechts ist nach dem Wortlaut der Satzung nur Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung, betrifft also nur das Innenverhältnis. Diese Unterscheidung ist auch sinnvoll, weil das Vorliegen des Gesellschafterbeschlusses leichter festzustellen ist als die Einhaltung der Formalien, von denen § 5 der Satzung das Erlöschen des Erwerbsrechts abhängig macht. Die Wirksamkeit einer Verfügung über Geschäftsanteile soll aber nur von einfach festzustellenden Sachverhalten abhängen.
Es ist nicht glaubhaft gemacht, daß die Gesellschafterbeschlüsse vom 10. 3. 1993 nichtig sind, weil die Gesellschafterversammlung nicht wirksam einberufen wurde. Dabei kann dahinstehen, ob der Ag. die Versammlung wegen seiner Abberufung als Geschäftsführer durch den Beschluß der Ast. vom 13. 2. 1993 nicht mehr wirksam einberufen konnte. Die Einladung der Versammlung durch den Prozeßbevollmächtigten der Ag. in deren Auftrag reicht nicht aus, weil er die Abberufung der Ag. als Geschäftsführer und ihren Ausschluß als Gesellschafter nicht als Tagesordnungspunkt angekündigt hat.
Die Beschlußfassung über diese Punkte ist aber deshalb wirksam, weil bei der Beschlußfassung alle Gesellschafter anwesend oder vertreten waren und keiner der Beschlußfassung allgemein oder auch nur in bezug auf diese Tagesordnungspunkte widersprochen hat. Nach § 51 III GmbHG können auch bei nicht ordnungsgemäßer Berufung der Versammlung Beschlüsse gefaßt werden, wenn sämtliche Gesellschafter anwesend sind. Anwesenheit in diesem Sinn setzt Einvernehmen mit der Abhaltung der Versammlung zum Zweck der Beschlußfassung voraus. Nicht “anwesend” i. S. des § 51 III GmbHG ist sonach derjenige Gesellschafter, der zwar erschienen ist, aber der Durchführung der Versammlung oder Beschlußfassung ausdrücklich oder konkludent widerspricht (BGHZ 100, 264 (270 f.) = NJW 1987, 2580 = LM § 51 GmbHG Nr. 5). Die Vorschrift des § 51 III GmbHG ist nach § 45 II GmbHG zwar nur dispositives Gesetzesrecht. Die Satzung der L-GmbH läßt die Frage der Wirksamkeit von Vollversammlungsbeschlüssen bei Ladungsmängeln aber offen, so daß es bei der dispositiven Regelung des Gesetzes bleibt.
Die Gesellschafterbeschlüsse vom 10. 3. 1993 sind auch nicht wegen Beeinträchtigung des Teilnahmerechts der Ast. nichtig. Einmal ist rein tatsächlich die Behauptung des Ag. nicht widerlegt, die Ast. hätten die Versammlung freiwillig verlassen. Nach der Niederschrift des Prozeßbevollmächtigten der Ast. haben diese die Versammlung verlassen, nachdem sie der Ag. aufgefordert hatte, darüber mitzustimmen, ob ihr Prozeßbevollmächtigter im Raum verbleiben dürfe. Nach dem Protokoll des Ag. haben die Ast. freiwillig und ohne Begründung den Saal verlassen, nachdem sie ihrem Prozeßbevollmächtigten erklärt hatten, sie machten weiter wie abgesprochen. Im übrigen hatten die Ast. keinen Anspruch darauf, zusammen mit ihrem Prozeßbevollmächtigten an der Versammlung teilzunehmen. Ein Gesellschafter kann sich zwar von einem Bevollmächtigten in der Gesellschafterversammlung vertreten lassen. Das sieht auch die Satzung der GmbH in § 17 VI vor. Der Gesellschafter hat aber keinen Anspruch darauf, neben dem Bevollmächtigten auch selbst an der Versammlung teilzunehmen (Hachenburg/Hüffner, § 48 GmbHG Rdnr. 18). Als Berater hätte der Prozeßbevollmächtigte der Ast. neben ihnen nur ein Teilnahmerecht gehabt, wenn es ihm durch Mehrheitsbeschluß der Gesellschafterversammlung gewährt worden wäre (Hachenburg/Hüffner, § 48 GmbHG Rdnr. 22).
Bezüglich des in der Hauptsache erledigten Anspruchs auf Erlaß eines Verbots gegen den Ag., als alleiniger Geschäftsführer aufzutreten, ist nur noch gem. § 91a ZPO über die Kosten zu entscheiden. Insofern werden die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben. Ob dieser Anspruch zunächst bestanden hat, hängt davon ab, ob die Voraussetzungen der actio pro socio vorlagen. Diese Voraussetzungen sind in der Literatur und Rechtsprechung für einen Fall wie den vorliegenden noch weitgehend ungeklärt. Im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 91a ZPO kann diese Frage daher mit der Folge der Kostenteilung offenbleiben. Soweit die Ast. einen Verfügungsantrag zurückgenommen haben, treffen sie die Kosten des Rechtsstreits entsprechend § 269 III ZPO.
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