Gesellschafterversammlung: Berechnung der Einladungsfrist bei Einberufung (LG Koblenz, Urteil vom 20.11.2002, Az.: 3 HO 82/01)

Amtliche Leitsätze:

  1. Bei der Berechnung der Einladungsfrist des § 51 Abs. 1 S. 2 GmbHG ist davon auszugehen, daß eingeschriebene Briefe erst am übernächsten Werktag nach der Aufgabe zur Post den Gesellschaftern zugehen, es sei denn, ein früherer Zugang wird nachgewiesen.
  2. Die Nichteinhaltung der Ladungsfrist des § 51 Abs. 1 S. 2 GmbHG begründet grundsätzlich die Anfechtbarkeit gefaßter Gesellschafterbeschlüsse. Eine Heilung des Ladungsmangels nach § 51 Abs. 3 GmbHG setzt außer der Anwesenheit sämtlicher Gesellschafter deren Einvernehmen mit der Abhaltung der Versammlung zum Zweck der Beschlußfassung voraus.

Aus dem Tatbestand

Bei der Bekl. handelt es sich um eine GmbH mit dem Sitz in R und einem Stammkapital von 25000 Euro. An der Bekl. sind folgende Gesellschafter mit folgenden Geschäftsanteilen beteiligt:
a) W-GmbH & Co. KG 11250 Euro
b) F-GmbH & Co. KG 11250 Euro
c) LK e.V. (= Kl.)
1250 Euro
d) LP e.V.
1250 Euro
In der Gesellschafterversammlung v. 8.6.2001 wurde beschlossen, daß a) der Geschäftsanteil des Kl. aus wichtigem Grund eingezogen und der Auskunftsanspruch des Kl. mit sofortiger Wirkung ausgesetzt wird, b) Schadensersatz- und sonstige Ansprüche gegen den ehemaligen Geschäftsführer der Bekl. CV außergerichtlich und gerichtlich geltend gemacht werden sollen, c) der Geschäftsführer FA von den Beschränkungen des §181 BGB befreit wird.
In einer weiteren Gesellschafterversammlung der Bekl. v. 21.6.2001 wurde beschlossen, daß
a)
der Kl. aus der Gesellschaft ausgeschlossen und sein Geschäftsanteil eingezogen wird,
b)
gemäß §51a Abs.2 GmbHG dem Kl. zukünftig keine Auskünfte betreffend die Gesellschaft mehr erteilt und seine Gesellschaftsrechte suspendiert werden,
c)
der Geschäftsführer FA von den Beschränkungen des §181 BGB befreit wird.
Mit der gesellschaftsrechtlichen Beschlußanfechtungsklage v. 15.6.2001 hat der Kl. die Beschlüsse v. 8.6.2001 angefochten und u.a. geltend gemacht, daß die Einberufungsfrist des §51 Abs.1 GmbHG von einer Woche nicht eingehalten worden sei.
Mit der Klageerweiterung v. 18.7.2001, bei Gericht eingegangen gleichfalls am 18.7.2001 (…), hat der Kl. die Beschlüsse v. 21.6.2001 angefochten.
Am 6.2.2002 hat das Gericht ein Teil-Anerkenntnis-Urteil verkündet, mit dem die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der Bekl. v. 8.6.2001 für nichtig erklärt wurden und die Kostenentscheidung dem Schlußurteil vorbehalten wurde. Das Urteil ist rechtskräftig. Zu entscheiden ist daher nur noch über die Anfechtung der Beschlüsse v. 21.6.2001.
Zur Gesellschafterversammlung der Bekl. haben deren Geschäftsführer den Kl. mit einem Schreiben ohne Datumsangabe (…) für Donnerstag, 21.6.2001, 18.00 Uhr, in den Geschäftsräumen der Bekl. in R eingeladen. Das Einladungsschreiben enthält u.a. die Tagesordnungspunkte: „4. Beschlußfassung über den Ausschluß als Gesellschafter und die Einziehung des Gesellschaftsanteils von LK e.V. aus wichtigem Grund, Beschluß gemäß §51a Abs.2 GmbHG über die Verweigerung der Auskunft an den Verein LK e.V., Beschluß über die Suspendierung der Gesellschafterrechte aus wichtigem Grund. 6. Beschluß über die Befreiung von §181 BGB für den Geschäftsführer FA”.
Das Einladungsschreiben an den Kl. wurde ausweislich des Einlieferungsbelegs (…) als Einschreiben/Rückschein am 12.6.2001, 18.05 Uhr, bei der Deutschen Post AG in W eingeliefert. Der Rückschein trägt das Datum 18.6.2001.
Die Gesellschafterversammlung fand am 21.6.2001 um 18.00 Uhr in R statt. Es nahmen teil: RA G, FS, CV, MM, RA H, FA und CG. RA G war Versammlungsleiter. RA H handelte für den Kl. Bevor zur Tagesordnung übergegangen wurde, rügte RA H die Nichteinhaltung der Ladungsfrist. Hierüber verhält sich das Protokoll wie folgt:
„Herr RA H rügt die Nichteinhaltung der Ladefrist zur Ladung zur Gesellschafterversammlung, welche am 12.6.2001 bei der Post eingeliefert wurde und am 18.6. von LK e.V. abgeholt wurde. (siehe Rückschein). Der Versammlungsleiter weist darauf hin, daß die verspätete Abholung im Rechtssinne irrelevant sei. Sodann wird in die Tagesordnung eingetreten.”
Im weiteren Verlauf der Gesellschafterversammlung wurden die Beschlüsse gemäß Punkt 4 und Punkt 6 der Tagesordnung gefaßt. Dabei wurde auf Antrag von RA G in seiner Eigenschaft als Vertreter der Gesellschafterin W-GmbH & Co. KG aus Punkt 4 der Tagesordnung der Teilpunkt „Beschluß gem. §51a Abs.2 GmbHG über die Verweigerung der Auskunft an den Verein LK e.V.” vorgezogen. Nach dem Hinweis des Versammlungsleiters, daß der Kl. insoweit kein Stimmrecht habe, was von dem Klägervertreter RA H angezweifelt wurde, wurde der Beschluß von den übrigen Gesellschaftern einstimmig gefaßt. Auch wegen der Beschlußfassung über den Ausschluß als Gesellschafter und die Einziehung des Gesellschaftsanteils von LK e.V. aus wichtigem Grund sowie wegen der Beschlußfassung über die Suspendierung der Gesellschafterrechte aus wichtigem Grund wurde der Kl. in dem Protokoll als nicht stimmberechtigt bezeichnet. In dem Protokoll heißt es weiter: „Abstimmung zu Punkt 4 der TO: Sämtliche stimmberechtigten Mitglieder stimmen dafür, mithin ist der Beschluß einstimmig. … Die Gegenstimme des Vereins wird protokolliert.” Bezüglich des Beschlusses über die Befreiung von §181 BGB für den Geschäftsführer FA heißt es in dem Protokoll: „Es gibt keine Wortmeldung. Der Beschluß wurde mit 95% Ja-Stimmen gefaßt.”
Das Protokoll über die Gesellschafterversammlung der Bekl. v. 21.6.2001 wurde dem Kl. außergerichtlich nicht übersandt. Das Protokoll wurde im vorliegenden Rechtsstreit von den Rechtsanwälten G & Koll. in ihrer Eigenschaft als (damalige) Prozeßbevollmächtigte der Bekl. mit Schriftsatz v. 12.10.2001 in Fotokopie zu den Akten gereicht. Dieses Protokoll ist von RA G als Versammlungsleiter und CG als Protokollführerin unterschrieben (…), während das von den jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Bekl. mit Schriftsatz v. 29.5.2002 in Fotokopie zu den Akten gereichte Protokoll außer den Unterschriften des Versammlungsleiters und der Protokollführerin noch drei weitere (unleserliche) Unterschriften trägt. In §11 Nr.5 der Satzung heißt es, daß die Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen durch Klageerhebung innerhalb einer Frist von einem Monat nach Absendung des Beschlußprotokolls zulässig ist.
Der Kl. hält die Einladungsfrist des §51 Abs.1 GmbHG von einer Woche für nicht gewahrt und schon von daher die Gesellschafterbeschlüsse v. 21.6.2001 für unwirksam. Im übrigen macht er geltend, daß es für die Einziehung des Geschäftsanteils an einem sachlichen Grund fehle. …

Aus den Entscheidungsgründen:

I.

Die Klage ist zulässig.

Über die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Beschlüssen, die Gesamtheit der Gesellschaft faßt, enthält das GmbHG keine Regelungen. Nach h.M. (vgl. etwa BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231 [235] = GmbHR 1954, 28; v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209 [210] = GmbHR 1970, 119; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15.Aufl., Anhang §47 Rz.1) ist die Gesetzeslücke durch eine sinngemäße Anwendung der aktienrechtlichen Vorschriften über die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen (§§241ff. AktG auszufüllen, soweit nicht die Besonderheiten der GmbH eine Abweichung erfordern. Das AktG unterscheidet zwischen Nichtigkeitsgründen (§241 AktG), die den Beschluß ipso iure nichtig machen und mit der Nichtigkeits-Feststellungsklage (§249 AktG) geltend gemacht werden können, und Anfechtungsgründen (§243 AktG), die den Beschluß zwar vernichtbar, aber nicht ohne weiteres nichtig machen und mit der kassatorischen Anfechtungsklage (§246 AktG) geltend gemacht werden müssen. Im vorliegenden Fall werden Mängel bei Einberufung der Gesellschafterversammlung geltend gemacht, nämlich die Nichtwahrung der Einladungsfrist des §51 Abs.1 GmbHG. Ein solcher weniger gravierender Einberufungsmangel führt nicht analog §241 Nr.1 i.V.m. §121 Abs.2 und 3 AktG zur Nichtigkeit des Beschlusses. Beschlüsse von Gesellschafterversammlungen, bei deren Einberufung die Einladungsfrist unterschritten worden ist, sind lediglich anfechtbar analog §243 Abs.1 AktG (BGH v. 30.3.1987 – II ZR 180/86, BGHZ 100, 264 [265] = GmbHR 1987, 424; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 17.Aufl., Anhang §47 Rz.20 a.E.; Zeilinger, GmbHR 2001, 541 [549]); denn es fehlt nicht an einer den gesetzlichen Mindestanforderungen genügenden Einberufung der Gesellschafterversammlung, sondern – wie noch näher auszuführen sein wird – daran, daß die Einladungsfrist unter Verstoß gegen §51 Abs.1 S.2 GmbHG nicht eingehalten worden ist.
Der von dem Kl. gestellten Hauptantrag, die Beschlüsse v. 21.6.2001 für nichtig zu erklären, ist der Antrag einer Anfechtungsklage, die hier die richtige Klageart ist. Prozessuales Ziel ist die Herbeiführung eines kassatorisch-gestaltenden Anfechtungsurteils. Der von dem Kl. gestellte Hilfsantrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Beschlüsse ist der Antrag einer Nichtigkeits-Feststellungsklage, die hier ausscheidet. Zu beurteilen war nur der Hauptantrag.

II.

Die Anfechtungsklage ist begründet.

Die Gesellschafterversammlung, in der die streitbefangenen Beschlüsse gefaßt worden sind, ist von den Geschäftsführern der Bekl. nicht ordnungsgemäß einberufen worden; denn die Einladungsfrist des §51 Abs.1 S.2 GmbHG wurde nicht gewahrt.

Nach dieser Vorschrift ist die Einladung der Gesellschafter mittels eingeschriebener Briefe „mit einer Frist von mindestens einer Woche zu bewirken”. Im Anschluß an die grundlegende Entscheidung des BGH v. 30.3.1987 – II ZR 180/86, BGHZ 100, 264 = GmbHR 1987, 424 wird §51 Abs.1 S.2 GmbHG so ausgelegt, daß sich die Ladungsfrist aus der üblicherweise zu erwartenden Zustellungsfrist für Einschreiben einerseits und der einwöchigen „Dispositionsfrist” andererseits zusammensetzt, weil andernfalls der Schutzzweck der Norm, das Teilnahmerecht eines jeden Gesellschafters sicherzustellen, nicht gewährleistet ist (vgl. etwa OLG Naumburg v. 17.12.1996 – 7 U 196/95, GmbHR 1998, 90 [91]; Scholz/K.Schmidt, GmbHG, 8.Aufl., §51 Rz.15). Die Frist beginnt mit der Aufgabe des eingeschriebenen Briefs zur Post zuzüglich der üblichen Beförderungsdauer, also mit dem Tag, an dem der Einschreibebrief bei ordnungsgemäßer Zustellung dem Gesellschafter unter normalen Umständen zugegangen wäre. Normalerweise beträgt die Beförderungsdauer bei Einschreiben im Inland zwei Tage; mit dem Zugang von Einschreiben wird also am übernächsten Tag nach der Aufgabe zur Post gerechnet (Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 17.Aufl., §51 Rz.17; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15.Aufl., §51 Rz.9; Scholz/K.Schmidt, GmbHG, 8.Aufl., §51 Rz.15; Lutz, Der GmbH-Gesellschafterstreit, 2001, Rz.88; Zeilinger, GmbHR 2001, 541 [544]; Emde, GmbHR 2002, 8 [11]).
Vorliegend wurde der eingeschriebene Brief am Dienstag, 12.6.2001, bei der Post aufgegeben. Mit dem Zugang wäre am übernächsten Tag, am Donnerstag, 14.6.2001, zu rechnen gewesen, doch darf man beim Zählen nicht vergessen, daß wir in Rheinland-Pfalz am 14.6.2001 das hhl. Fest Fronleichnam gefeiert haben, ein staatlich anerkannter Feiertag. Fristbeginn war daher am Freitag, dem 15.6.2001 (§193 BGB), wobei der 15.6.2001 bei der Bestimmung der Frist nicht mitgerechnet wird (§187 Abs.1 BGB). Die Wochenfrist endete am Freitag, 22.6.2001, 24.00 Uhr (§187 Abs.1, §188 Abs.2 BGB). Die Gesellschafterversammlung war indes bereits am Donnerstag, 21.6.2001, also innerhalb der Frist. Sie hätte frühestens am Samstag, 23.6.2001, stattfinden dürfen, wenn sie gesetzlich sein sollte.

Eine andere Beurteilung müßte für den Fall erfolgen, daß der Kl. die Einladung nachweislich schon am 13.6.2001 erhalten hat. Ein entsprechender Nachweis ist jedoch nicht geführt. In diesem Zusammenhang hat die Bekl. mit Schriftsatz v. 21.8.2002 (…) vorgetragen, der Einschreibebrief sei während der normalen Postöffnungszeiten in W durch die Zeugin G aufgegeben worden; da die Post bereits um 18.00 Uhr schließe, sei der Einschreibebrief daher bereits vorher aufgegeben worden. Dieser schriftsätzliche Vortrag war unrichtig. Das Einladungsschreiben wurde ausweislich des Einlieferungsscheins (…) als Einschreiben/Rückschein am 12.6.2001 erst um 18.05 Uhr bei der Deutschen Post AG in W eingeliefert. Der Bekl.-Vertreter hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, daß dies zutreffend sei (…). Erfolgt die Einlieferung eines eingeschriebenen Briefs bei der Post nach der normalen Postöffnungszeit um 18.05 Uhr, so geht die Postsendung dem Empfänger unter normalen Umständen nicht schon am nächsten, sondern erst am übernächsten Tag zu.

Der Ladungsmangel ist auch nicht durch Anwesenheit aller Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung gemäß §51 Abs.3 GmbHG geheilt worden. Die Vorschrift setzt ihrem Sinn und Zweck nach außer der Anwesenheit sämtlicher Gesellschafter deren Einvernehmen mit der Abhaltung der Versammlung zum Zweck der Beschlußfassung voraus; nicht „anwesend” i.S.d. §51 Abs.3 GmbHG ist sonach derjenige Gesellschafter, der zwar erschienen ist, aber der Durchführung der Versammlung oder der Beschlußfassung, sei es ausdrücklich oder konkludent, widerspricht (so wörtlich BGH v. 30.3.1987 – II ZR 180/86, BGHZ 100, 264 [269/270] = GmbHR 1987, 424; OLG Naumburg v. 17.12.1996 – 7 U 196/95, GmbHR 1998, 90 [92]; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 17.Aufl., §51 Rz.25; Scholz/K.Schmidt, GmbHG, 8.Aufl., §51 Rz.43). Ausweislich des Protokolls über die Gesellschafterversammlung v. 21.6.2001 hat RA H als Vertreter des Kl. die Nichteinhaltung der Ladefrist vor Eintritt in die Tagesordnung gerügt. Sein weiteres Verhalten in der Gesellschafterversammlung, wie es protokolliert ist, zeigt, daß er sich den Beschlußfassungen widersetzt und seinen Widerspruch nicht aufgegeben hat. Eine Heilung des Ladungsmangels ist somit nicht erfolgt.

Die Anfechtungsfrist ist, was nach Lage der Sache keiner Darlegung bedarf, gewahrt.

Die Gesellschafterversammlung v. 21.6.2001 hätte nach allem die streitigen Beschlüsse nicht fassen dürfen.

Die Beschlüsse waren daher auf den Hauptantrag des Kl. für nichtig zu erklären. …

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