Vorstand kündigen: Wichtige Gründe & Muster-Vorlage für Aufsichtsratsbeschluss (AG)

Als Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft (AG) kann man sich in der schwierigen Situation wiederfinden, einem Vorstandsmitglied kündigen zu müssen. Hier sollte vor allem vor allem darauf geachtet werden, dass die rechtlichen Voraussetzungen – die wichtigen Gründe für Abberufung und Kündigung – vorliegen. In diesem Artikel betrachten wir die wichtigen Gründe für die Abberufung eines Vorstands und die Kündigung seines Vorstandsvertrags (auch „Anstellungsvertrag” oder „Dienstvertrag”), sowie den formalen Ablauf dieses Prozesses. Dieses Wissen hilft ihnen dabei, das Beschluss-Muster für einen entsprechenden Aufsichtsratsbeschluss zu verwenden.

➡️ Hier geht es zu der Beschlussvorlage „Abberufung eines Vorstandsmitglieds und Beendigung des Anstellungsvertrags” (Anmeldung erforderlich)

1. Recht­li­che Grund­la­gen

Bevor wir uns den spezifischen Gründen zuwenden, ist es wichtig, die rechtlichen Grundlagen zu verstehen. Die Beendigung der Vorstandstätigkeit erfolgt in zwei getrennten Schritten:

  1. Die Abberufung aus dem Vorstandsamt
  2. Die Beendigung des Anstellungsvertrags durch Kündigung oder einvernehmliche Vertragsaufhebung.

Diese Trennung ist wichtig, da unterschiedliche rechtliche Voraussetzungen für beide Schritte gelten.

2. Ab­be­ru­fung aus dem Vor­stands­amt

Die Abberufung eines Vorstandsmitglieds (auch „Widerruf der Bestellung”) ist in § 84 Abs. 4 AktG geregelt. Hiernach kann der Aufsichtsrat die Bestellung zum Vorstandsmitglied widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.

Wich­ti­ge Grün­de für die Ab­be­ru­fung

  1. Grobe Pflichtverletzung: Dies liegt vor, wenn das Vorstandsmitglied vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen seine Pflichten verstößt. Beispiele hierfür aus der Rechtsprechung wären:
    • Teilnahme an unehrenhaften oder riskanten Geschäften, z.B. Spekulationsgeschäften, weil dadurch mittelbar der gute Ruf der Gesellschaft geschädigt wird,1
    • Fehlende Unterhaltung und Einrichtung eines funktionsfähigen Risikomanagement- und Risikofrüherkennungssystems zur Kreditrisikosteuerung bei einer Bank (§ 91 Abs. 2 AktG)2,
    • Starker Verdacht der Beteiligung an strafbaren Handlungen3,
    • Bestechlichkeit des Vorstandsmitglieds4,
    • Ausnutzung der Stellung als Vorstand für persönliche Vorteile oder ein privates Geschäft, selbst wenn dadurch das Interesse der Gesellschaft nicht beeinträchtigt wurde4,
    • Mangelnde Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat,6
    • Weigerung zur Abgabe oder die Abgabe einer falschen oder offensichtlich unvollständigen Berichterstattung7
    • Verletzung von Geschäftsordnungen des Vorstands8,
    • Bewusste Täuschung von Vorstandskollegen9,
    • Alleinige Aufstellung und Veröffentlichung des Jahresabschlusses ohne Feststellung durch den Aufsichtsrat,
    • Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot gemäß § 88 AktG10,
  2. Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung: Dieser Grund greift, wenn das Vorstandsmitglied nicht in der Lage ist, die Geschäfte der AG ordnungsgemäß zu führen. Hier wurden die folgenden Beispiele in der Rechtsprechung anerkannt:
    • Fehlende Kenntnisse zur ordnungsgemäßen Leitung der Geschäfte11,
    • Fehlende Zuverlässigkeit im gewerberechtlichen Sinne (keine Vorlage einer erforderlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung)12,
    • Keine Teamfähigkeit: ständige Verletzungen des Kollegialitätsprinzips und wiederholte Übergriffe in den Kompetenzbereich der Vorstandskollegen13,
    • Langwierige Krankheit des Vorstandsmitglieds,
    • Forderung der Hausbank, ein bestimmtes Vorstandsmitglied abzuberufen, andernfalls eine für die insolvenzreife Aktiengesellschaft existentiell wichtige Kreditlinie nicht zu verlängern14
    • nicht ausreichend: Vorstandsverkleinerung innerhalb Personalabbaukonzept15.
  3. Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung: Wenn die Hauptversammlung dem Vorstandsmitglied das Vertrauen entzieht, kann dies ein wichtiger Grund sein.
    • Ein Vertrauensentzug muss nicht zwingend weiter begründet sein16.
    • Der Vertrauensentzug darf jedoch nicht lediglich ein Vorwand sein und auf offenbar unsachlichen oder willkürlichen Gründen beruhen17.

Es ist zu betonen, dass die Schwelle für eine Abberufung niedriger ist als für eine Kündigung des Anstellungsvertrags. Der Aufsichtsrat hat hier einen gewissen Ermessensspielraum, solange der Grund nicht offensichtlich unsachlich ist.

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3. Frist­lo­se Kün­di­gung des An­stel­lungs­ver­trags

Die Kündigung des Anstellungsvertrags folgt anderen rechtlichen Grundsätzen als die Abberufung (§ 626 BGB). Hier gelten die allgemeinen dienstvertragsrechtlichen Bestimmungen, wobei zu beachten ist, dass Vorstandsverträge oft spezielle Kündigungsklauseln enthalten.

Ob ein wichtiger Grund vorliegt, ergibt sich aus einer Interessenabwägung, bei der die folgenden Punkte zu berücksichtigen sind:

  • Schwere von Verfehlungen,
  • Folgen für die Gesellschaft,
  • Grad des Verschuldens,
  • etwaige Wiederholungsgefahr,
  • soziale Folgen einer Kündigung für das betroffene Vorstandsmitglied,
  • Lebensalter des Vorstandsmitglieds,
  • Dauer seiner Zugehörigkeit zum Vorstand,
  • Verdienste um die Gesellschaft.

Wich­ti­ge Grün­de für die frist­lo­se Kün­di­gung des An­stel­lungs­ver­trags

Bei den Kündigungsgründen unterscheidet man zwischen verhaltens-, personen- und betriebsbedingten Kündigungsgründen:

  1. Personenbedingte Gründe:
    • Dauerhafte Krankheit,
    • Ein Vertrauensentzug der Hauptversammlung genügt für sich genommen nicht für eine fristlose Kündigung des Anstellungsvertrags (lediglich für eine Abberufung, siehe oben).18
  2. Verhaltensbedingte Gründe:
    • Grobe Pflichtverletzungen, die einen wichtigen Abberufungsgrund darstellen (siehe oben), rechtfertigen in der Regel auch eine Kündigung des Anstellungsvertrags.
    • Amtsniederlegung zur Unzeit: Wenn ein Vorstand in wirtschaftlich kritischer Situation sein Amt als Organ der Aktiengesellschaft niederlegt, obwohl die aus seiner Sicht mangelnde Eignung des vom Aufsichtsrat bestellten Finanzvorstandes objektiv nicht feststehen kann, bedeutet dies eine schwerwiegende Pflichtverletzung.19
  3. Betriebsbedingte Gründe:
    • Betriebsstillegung infolge wirtschaftlicher Krise20

Es ist wichtig zu beachten, dass die Hürden für eine Kündigung des Anstellungsvertrags in der Regel höher sind als für eine Abberufung. Zudem müssen oft vertraglich vereinbarte Kündigungsfristen eingehalten werden, es sei denn, es liegt ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vor.

Ab­gren­zung zur or­dent­li­chen Kün­di­gung des Vor­stands­an­stel­lungs­ver­trags

Sofern kein Kündigungsgrund für eine fristlose außerordentliche Kündigung des Vorstandsvertrags vorliegt, ist weiter zu prüfen, ob eine ordentliche Kündigung in Betracht kommt.

Eine ordentliche Kündbarkeit muss in der Regel jedoch mit dem Vorstandsmitglied im Vorstandsanstellungsvertrag vereinbart worden sein. Ohne Vereinbarung der ordentlichen Kündbarkeit ist die ordentliche Kündigung nach § 620 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, wenn Vorstandsanstellungsverträge – wie es üblich ist – auf die Amtszeit des Vorstandsmitglieds befristet sind.

Sofern jedoch ordentliche Kündigung möglich ist, endet der Anstellungsvertrag nach Ablauf der Kündigungsfrist. Sofern hier nichts abweichendes vertraglich vereinbart worden ist, gelten die gesetzlichen Kündigungsfristen für Dienstverträge. Mit unserem Kündigungsfristenrechner können Sie das Beendigungsdatum des Vorstandsdienstvertrags ermitteln.

4. Wei­te­re Punk­te für den Auf­sichts­rats­be­schluss und Be­schluss-Mus­ter­vor­la­ge

Wenn eine außerordentliche fristlose Kündigung mangels Kündigungsgrund nicht möglich ist, ist oftmals eine Freistellung („Suspendierung”) des Vorstandsmitglieds für die verbleibende Vertragslaufzeit gewünscht, damit es im Unternehmen z.B. „keine weitere Unruhe” stiften kann. In diesem Rahmen sollte eine Anrechnung des Resturlaubs durch den Aufsichtsrat angeordnet sein (was jedoch nur bei einer unwiderruflichen Freistellung rechtlich wirksam möglich ist).

Sofern eine einvernehmliche Vertragsaufhebung mit dem Vorstandsmitglied vereinbart werden konnte, verlangt das ausscheidende Vorstandsmitglied für sein Entgegenkommen typischerweise, dass sich der Aufsichtsrat für die Vorstandsentlastung durch die Hauptversammlung einsetzt.

Sämtliche Varianten für die Beendigung der Vorstandstätigkeit lassen sich mit der Beschlussvorlage für den Aufsichtsratsbeschluss abbilden.

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Beispiel: Die Resolvio-Beschlussvorlage bei einem Aufsichtsrat im Einsatz.

Fa­zit

Wenn ein Vorstandsmitglied von seiner Tätigkeit entbunden werden soll, ist ein wichtiger Grund für die Abberufung aus dem Vorstandsamt notwendig. Hiervon ist die Beendigung des Vorstandsvertrags zu unterscheiden. Für eine fristlose Kündigung des Vorstandsvertags ist ein eigenständiger Kündigungsgrund erforderlich. Die Beispiele aus der Rechtsprechung können dabei helfen zu entscheiden, ob ein Abberufungs- und Kündigungsgrund vorliegen.

Fußnoten

  1. RGZ 53, 266, 267; BGH WM 1956, 865. ↩︎
  2. LG Berlin, Urteil vom 3. 7. 2002 – 2 O 358/01 (“Berliner Bankenskandal”); VG Frankfurt a. M., Urteil vom 08.07.2004 – 1 E 7363/03. ↩︎
  3. BGH, Urteil vom 09.01.1967 – II ZR 226/64. ↩︎
  4. BGH, Urteil vom 08.05.1967 – II ZR 126/65 ↩︎
  5. BGH, Urteil vom 08.05.1967 – II ZR 126/65 ↩︎
  6. BGH, Urteil vom 26. 3. 1956 – II ZR 57/55. ↩︎
  7. LG München I, Urteil vom 11.11.2004 – 5 HKO 6764/04. ↩︎
  8. OLG Stuttgart, Hinweisbeschluss vom 28.5.2013 – 20 U 5/12 (LG Rottweil). ↩︎
  9. OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.05.1982 – 8 U 11/81. ↩︎
  10. LG Münster, Urteil vom 12.12.2016 – 024 O 47/16 ↩︎
  11. OLG Stuttgart GmbHR 1957, 59, 60. ↩︎
  12. OLG Stuttgart, Urteil vom 13.03.2002 – 20 U 59/01. ↩︎
  13. BGH, Urteil vom 13. 7. 1998 – II ZR 131/97. ↩︎
  14. BGH, Beschluss vom 04.12.2006 – II ZR 298/05. ↩︎
  15. OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 17.2.2015 – 5 U 111/14. ↩︎
  16. BGH, Urteil vom 15.11.2016 – II ZR 217/15. ↩︎
  17. BGH, Urteil vom 29.05.1989 – II ZR 220/88; BGH, Urteil vom 15.11.2016 – II ZR 217/15. ↩︎
  18. BGH, Urteil vom 20. 10. 1954 – II ZR 280/53. ↩︎
  19. LG München I, Endurteil vom 15.09.2017 – 5 HK O 21026/16. ↩︎
  20. BGH, WM 1976, 761. ↩︎

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Ein Artikel von

Hubertus Scherbarth, LL.M, B.A
Hubertus Scherbarth, LL.M, B.A

Rechtsanwalt, Steuerberater

Hubertus ist Rechtsanwalt und Steuerberater mit dem Schwerpunkt im Gesellschaftsrecht und arbeitet daran, die Digitalisierung der Beschlussfassung voranzutreiben.

Hubertus hat sich schon mit Beschlüssen beschäftigt, als er beim Notar eine Ausbildung zum Notarfachangestellten machte. Derzeit promoviert er zu einem gesellschaftsrechtlichen Thema im Bereich der Managerhaftung.

Kurzvita:


2010 - Ausbildung in Notariat Koblenz zum Notarfachangestellten.

2010-2018 - Studium der Rechtswissenschaft und Europäischen Kunstgeschichte an den Universitäten Heidelberg, Sorbonne-Paris und Krakau, Erstes Juristisches Staatsexamen 2015 (Schwerpunkt Gesellschaftsrecht), Bachelorprüfung Kunstgeschichte 2018.

Seit 2015 - Arbeit an einer Dissertation auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts ("Haftung des fehlerhaften Organwalters").

2019-2021 - Referendariat am Oberlandesgericht Frankfurt am Main.

2020 - Steuerberaterprüfung.

2021 - Zweites Juristisches Staatsexamen.

Seit 2021 - Zugelassen als Rechtsanwalt und Steuerberater, Tätigkeit in überregionaler Anwaltskanzlei im Gesellschaftsrecht.

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