Erforderliche Stimmenzahl bei Beschlussfassung im Verein (BGH, Urteil vom 25.01.1982, Az.: II ZR 164/81)
Amtlicher Leitsatz:
- Bei der Beschlußfassung im Verein ist die Mehrheit nur nach der Zahl der abgegebenen Ja- und Nein-Stimmen zu berechnen, Enthaltungen sind nicht mitzuzählen.
Aus dem Tatbestand:
Der Kl. ist Mitglied einer Kreisgruppe des verklagten eingetragenen Vereins. Zur Mitgliederversammlung dieser Kreisgruppe, die keine eigene Rechtspersönlichkeit hat, waren am 7. 7. 1979 acht Mitglieder erschienen. Bei der Wahl des Vorsitzenden stimmten im zweiten Wahlgang drei Mitglieder für den Kl. und vier für das Vereinsmitglied R; ein Mitglied enthielt sich der Stimme. Der Bekl. sieht R aufgrund dieser Wahl als Vorsitzenden der Kreisgruppe an. Der Kl. ist dagegen der Ansicht, R habe nicht die erforderliche Mehrheit erhalten, weil nicht mehr als die Hälfte der in der Versammlung anwesenden Mitglieder für ihn gestimmt habe.
Die Vorinstanzen haben die Klage festzustellen, die Wahl des R sei unwirksam, abgewiesen. Die – zugelassene – Revision des Kl. blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 32 I 3 BGB entscheidet bei der Beschlußfassung in einem Verein die “Mehrheit der erschienenen Mitglieder”. Wäre das wörtlich zu nehmen, wäre das Mitglied R, weil nur acht Mitglieder anwesend waren und nur vier für ihn gestimmt haben, nicht gewählt worden; es hätten fünf Stimmen für ihn abgegeben werden müssen. Im Schrifttum ist aber von jeher umstritten, ob das Gesetz so auszulegen oder ob es nicht nach Sinn und Zweck in dem Sinne zu verstehen ist, wie das in den Vorschriften der §§ 47 I und 53 II GmbHG, § 133 I AktG und (seit der Neufassung im Jahre 1973) § 16 II und § 43 II GenG geregelt worden ist, wonach die Mehrheit der “abgegebenen” Stimmen entscheidet, also nur die Ja- und Nein-Stimmen, nicht aber die Stimmenthaltungen zählen (vgl. für das frühere Schrifttum die Nachweise bei Tecklenburg, ArchBR 43, 178; im letztgenannten Sinne u. a. Reuter, in: MünchKomm, § 32 Rdnr. 17; Soergel-Schultze v. Lasaulx, BGB, 11. Aufl., § 32 Anm. 26; Reichert-Dannecker-Kühr, Hdb. d. Vereins- und VerbandsR, 2. Aufl., Nrn. 418, 419; Enneccerus-Nipperdey, BGB AT, 15. Aufl., § 111 I 2; Lehmann-Hübner, BGB AT, 15. Aufl., § 16 III 2c; Merle, NJW 1978, 1440; a. A. Staudinger-Coing, BGB, 12. Aufl., § 32 Anm. 13; Steffen, in: RGRK, 12. Aufl., § 32 Anm. 14; Erman-Westermann, BGB, 7. Aufl., § 32 Anm. 2; Palandt-Heinrichs, BGB, 40. Aufl., § 32 Anm. 1b; Jauernig, BGB, 2. Aufl., § 32 Anm. 3c; Stöber, VereinsR, 4. Aufl., Nr. 196 a; zu §§ 16 und 43 GenG a. F. Fischer, NJW 1966, 483; OLG Hamburg, HRR 1930 Nr. 1044; OLG Frankfurt, NJW 1954, 802; offengelassen in RGZ 80, 189 (194)).
Der – auch vom BerGer. vertretenen – Ansicht, daß es nur auf das Verhältnis der Stimmen ankommt, die für oder gegen den zur Abstimmung gestellten Antrag Stellung nehmen, ist zu folgen. Der Hinweis des Gesetzes auf die Mehrheit der “erschienenen” Mitglieder hat insoweit eine wesentliche Bedeutung, als damit die notwendige Klarstellung getroffen wird, daß Beschlüsse nicht von der Mehrheit der überhaupt dem Verein angehörenden Mitglieder gefaßt zu werden brauchen: sie können unabhängig von der Mitgliederzahl zustande kommen, wenn die Mehrheit derjenigen dafür stimmt, die durch ihre Beteiligung an der Abstimmung ihr Interesse an der zu regelenden Vereinsangelegenheit bekunden. Dagegen ist nicht gut anzunehmen, daß jene Wortfassung einen weitergehenden Sinn habe; insbesondere spricht nichts dafür, daß bei der Berechnung der Mehrheit die Stimmenthaltungen mitgezählt werden sollen. Diese werden gar nicht erwähnt. Niemand, der sich der Stimme enthält, wird nach der Verkehrsanschauung auf den Gedanken kommen, sein Verhalten werde sich auf die Beschlußfassung anders auswirken, als wenn er der Versammlung ferngeblieben wäre oder sich vor der Abstimmung entfernt hätte. Er will, daus welchen Motiven auch immer, weder ein zustimmendes noch ein ablehnendes Votum abgeben, sondern seine Unentschiedenheit bekunden. Würden die Stimmenthaltungen dennoch bei der Mehrheitsberechnung mitgezählt – mithin die Zahl der Anwesenden ausschlaggebend sein -, dann würden sich die Enthaltungen so auswirken, als ob die betreffenden Mitglieder mit Nein gestimmt hätten. Damit würde der objektive Erklärungswert dieses Abstimmungsverhaltens verfälscht. Es mag sein, daß es in anderen Bereichen Fälle gibt, in denen ein solches Ergebnis erwünscht ist, weil von jedem Beteiligten erwartet werden muß, daß er aus seiner Verantwortung heraus Farbe bekennt; dann ist es sinnvoll, die Enthaltung wie eine Ablehnung zu behandeln. In Vereinsangelegenheiten gibt es dafür in aller Regel keine Gründe. Dafür, daß dem Gesetzgeber dennoch etwas derartiges vorgeschwebt haben könnte, lassen weder das Gesetz selbst noch die Gesetzesmaterialien Anhaltspunkte erkennen (Mugdan, Materialien I, S. 411, 828; RGZ 80, 189 (193)).
Enthaltungen sind nach alledem bei der Berechnung der Mehrheit nicht mitzuzählen. Im vorliegenden Falle hatte daher das Mitglied R mit vier Ja- gegen drei Nein-Stimmen die zu seiner Wahl erforderliche Mehrheit erhalten. Demgemäß haben die Vorinstanzen die Klage mit Recht abgewiesen.
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